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Selfie-Sucht im Schutzgebiet

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Selfie-Sucht im Schutzgebiet

Im vergangenen Sommer hat es bereits intensive Kontrollen und gezielte Geländestreifen der Nationalpark-Ranger gegeben, auch in Zusammenarbeit mit der Polizei, Wasserwacht und dem Landratsamt. Für dieses Jahr sind zusätzliche Kontrollen vorgesehen und bei uneinsichtigen oder rabiaten Gästen werden Anzeigen erstattet

Wenn einer eine Reise tut … dann kann er was erzählen. Und zwar in unserer digitalen Welt am besten sofort, live und in Echtzeit. Instagram, Facebook, YouTube und Co. sind die Medien der Wahl, wenn es darum geht, Urlaubserlebnisse mit Freunden, Bekannten oder der ganzen Welt zu teilen. Es wird getaggt, gepostet, geteilt und geliked auf Teufel komm raus. Geheimtipps gibt es kaum mehr, denn was einer weltweiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, überfallen so genannte »Influencer« mit iPad, Smartphone und Tablet. Ihr Ziel: Wirklich ALLEN zeigen, wo auf der Welt die »geilsten Must-see-Locations« versteckt sind. Die freie Journalistin Alexandra Rothenbuchner aus dem Berchtesgadener Land hat ihn erlebt, den Sommer 2018 in Berchtesgaden. Sie war überrascht, irritiert, fasziniert und inspiriert – zu einem nicht ganz objetiven aber umso sorgenvolleren Blick in die Zukunft.

Willkommen im Freizeitpark Berchtesgaden«, grüßen die Schilder am Hallturm, am Wachterl und vor Marktschellenberg und schon geht der Rummel los: Ein gemütlicher Autoschlangencorso im Schneckentempo zum Entschleunigen schlängelt sich durch den Talkessel bis an den Königssee. Erster Fotospot an der Seelände. Dann ab aufs Boot und »Klick« und »gepostet« ist das Bild vom Echobläser. Yeah, die ersten Likes kommen schon! Im Gänsemarsch wandert die Besucherschar anschließend zu den beliebtesten Vergnügungspark-Attraktionen: Instagram-Massen-Selfie am Königsbach-Wasserfall, kollektives Campieren am Obersee oder eine E-Bike-Tour mit Radfahr-Verbotstafel-Bingo. Für die »Locals« hat der neue Freizeitpark natürlich auch sein Gutes. Vor Wölfen brauchen die Bauern keine Angst mehr zu haben – dank Dauerbeschallung aus dutzenden Aldi-Billig-Bluetooth-Laut-sprechern traut sich Isegrim längst nicht mehr in die Gegend. Und einen eigenen Fotoapparat können sich die Berchtesgadener sparen – in den sozialen Netzwerken werden ohnehin täglich Bilder von ihnen gepostet: Zufällig »abgeschossen« bei der Bergtour am Jenner oder auf dem Feuerpalven beim Brotzeiteln, weil ein Tourist den Watzmann im Hintergrund entdeckt hat.

Fiktion oder Realität?

Was auf den ersten Blick absurd, bizarr und konstruiert klingt, ist in Teilbereichen des Nationalparks bereits traurige Wirklichkeit. Besonders schlimm hat es in diesem Sommer einen Platz im Nationalpark getroffen, den bis vor einigen Jahren nur wenige Einheimische kannten: Die Gumpen am Königsbach-Wasserfall sind zur Kulisse für einem Kampf um »Likes« verkommen. Der »Natural Infinity-Pool« am Königsbach-Wasserfall lockt mit der Chance auf DAS Foto. Bei Instagram, YouTube und Co. brüstet man sich nicht nur mit dem Ergebnis, es wird auch immer häufiger der Weg dorthin gezeigt – ohne auf die Gefahren des alpinen und absturzgefährlichen Geländes hinzuweisen. Zu den Badestellen führt kein offizieller Weg, den suchen sich die »Selfie-Junkies« selber oder laden sich einen detaillierten GPS-Track auf einschlägigen Outdoor-Portalen herunter. Zugegeben, mittlerweile ist der Weg auch ohne technische Hilfsmittel nicht mehr schwer zu finden: Ausgetretene Trampelpfade durchziehen das Gelände kreuz und quer, immer den weggeworfenen Taschentüchern nach! Schlimme Unfälle hat es bereits gegeben, Einsatzkräfte warnen vor Lebensgefahr, doch die überwiegend jungen »Infinity-Pool«-Fans lassen sich nicht abschrecken.

Wie eine junge Mitzwanzigerin, die im Oktober extra für dieses Foto 700 Kilometer von Paderborn nach Berchtesgaden gefahren war und, auf die Gefahren hingewiesen, klarstellte: »Pah. Und wenn es schneit oder gewittert, ich geh’ da jetzt rein!«Vom Naturschützer zur MüllabfuhrDer Run auf den Königsbach-Wasserfall ist aber nicht nur gefährlich, er ist mitten im Nationalpark auch ein ernst zu nehmendes Problem für die Natur. Großflächig zerstörte Ufervegetation, Trampelpfade, Müll, dazu illegale Lagerfeuer. Immer häufiger campieren Unbelehrbare im Schutzgebiet, nicht nur am Wasserfall, sondern auch im Wimbachgries. Auf der Kühroint-Alm ist es schon vorgekommen, dass Wanderer ihr Zelt einfach zurück ließen. Billig-Zelte vom Discounter, so scheint es, kann man einfach stehen lassen, wenn man sie nicht mehr tragen möchte. Viel Geld hat man ja nicht verloren – quasi Einweg-Schlaf-Verpackungen für »Natururlauber«. Darüber, was mit ihrem Müll passiert, machen sich solche Nationalpark-Besucher ohnehin keine Gedanken. Früher hat es das nicht gegeben, heute werden die Ranger zur Müllabfuhr. Freilich, ein Großteil der rund 1,6 Millionen Besucher des Nationalparks bleibt auf den ausgewiesenen Wanderwegen und respektiert die Regeln des Schutzgebietes.

Doch können einige wenige Gäste auf »Selbsterfahrungs-Trip« an ökologisch sensiblen Stellen sehr viel kaputt machen. Vor allem in den vergangenen zwei Jahren hat die Anzahl der Verstöße gegen Bestimmungen der Nationalparkverordnung erheblich zugenommen. Tendenz: leider weiter steigend. Angesichts dieser Verschärfung der Probleme mit einer kleinen Gruppe an Nationalpark-Besuchern sieht sich die Nationalparkverwaltung zum Handeln gezwungen. In diesem Sommer hat es bereits intensive Kontrollen und gezielte Geländestreifen der Nationalpark-Ran-ger gegeben, auch in Zusammenarbeit mit der Polizei, Wasserwacht und dem Landratsamt. Für das Jahr 2019 sind zusätzliche Kontrollen vorgesehen und bei uneinsichtigen oder rabiaten Gästen werden Anzeigen erstattet. Auch deutlich erhöhte Bußgelder oder zeitlich begrenzte Sperrungen kommen in Frage, ist aus der Nationalparkverwaltung zu hören. Das hat es in der 40-jährigen Geschichte des Schutzgebietes noch nicht gegeben, doch offensichtlich ist eine Grenze erreicht. Die wachsenden Touristenströme und die Möglichkeiten der neuen Medien haben den Nationalpark offenbar vielerorts an die Grenzen seiner Kapazität gebracht.

Im Sommer sind die Wanderparkplätze am Wimbachtal, Klausbachtal oder am Hinterbrand oft schon frühmorgens überfüllt. Urlauber reagieren zunehmend verärgert, wenn der Erholungswert aufgrund der Touristenmassen, wie beispielsweise am Königssee, deutlich eingeschränkt wird. Und nicht zuletzt: Wenn viele Menschen unterwegs sind, passiert auch mehr. Rettungseinsätze nehmen zu und mit den ständig steigenden Übernachtungszahlen auf den Berghütten im Schutzgebiet müssen neue Konzepte zur Ver- und Entsorgung her. Eine logische Folge: Immer mehr Hubschrauberlärm, denn wie soll es sonst gehen? Und auch der Verkaufsschlager »E-Bike« wird die Wildtiere des Nationalparks vor immer neue Herausforderungen stellen – vor allem dann, wenn die Räder als Aufstiegshilfe genutzt werden. Dank Motorkraft kommen »Bike-Hiker« heute schnell, bequem und vor allem viel früher am Morgen in höhere Bergregionen und dringen bei ihren Unternehmungen immer tiefer in den Park vor. Ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht, in Online-Por-talen gepostete »Geheimtipps« ziehen immer mehr Urlauber an und Aufsehen erregende Bauprojekte locken zusätzlich Besucher in die Region.Freilich, der Berchtesgadener Talkessel lebt vom Tourismus und wird es auch in Zukunft tun. Die Frage aber bleibt, auf welche Art.

Und um welchen Preis. Geht die Entwicklung ungebremst so weiter, wird die nächste Generation nicht mehr viel haben, was sie hochqualita-tiv touristisch vermarkten könnte. Denn wie sagte schon Hans-Magnus Enzensberger im Jahre 1979: »Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet«. Klingt vielleicht abgedroschen, ist aber wohl ebenso wahr wie aktuell. Eine zentrale Aufgabe des Nationalparks ist es, dem Menschen die Natur näher zu bringen. Immer vor dem Grundsatz »Natur Natur sein lassen«. Wo das eine mit dem anderen nicht mehr vereinbar ist, stößt der Nationalpark an seine Grenzen. Dann braucht es die Mitarbeit und das Engagement aller, der Einheimischen, der Touristiker, der Politiker und natürlich auch der Gäste selber, um sich gemeinsam für den Erhalt einer einzigartigen Naturlandschaft einzusetzen, die ihnen seit Jahrhunderten viel mehr zurückgibt, als sie verlangt. Sie ist Heimat, Lebensraum, Ruhepol, sportliche Herausforderung oder Arbeitgeber und bittet den Menschen eigentlich nur um eines: Rücksichtnahme. Ich empfehle dem Nationalpark Berchtesgaden ein Motto für die nächsten 40 Jahre: »Heute weniger ist in Zukunft mehr«.
Text: Alexandra Rothenbuchner

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